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Japanische Lackkunst

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Japanische Lackkunst

Alles dreht sich in der japanischen Kleinstadt Wajimaum um den Naturlack Urushi, der mit brillantem, aber weichem Glanz fasziniert.

Die japanische Kleinstadt Wajima ist bekannt für ihre einzigartigen Lackarbeiten. Dabei werden nicht nur Teller und Schalen mit dem Lack überzogen, sondern auch ganze Interieurs. Es herrscht konzentrierte Stille. An niedrigen Holztischchen sitzen knapp ein Dutzend Schüler und Schülerinnen. Vor ihnen auf dem Tisch liegen haardünne Pinsel aus Frauenhaar, daneben kleine Porzellanschalen mit Pigmenten. Wie einen Ring tragen die Schüler eine kleine Mischpalette. Während ein Mädchen eine Landschaft aus Blütenzweigen auf den dunklen Lackgrund malt, legt eine andere dünne Intarsien im Lack zu einem kunstvollen Muster. Immer wieder fällt ein prüfender Blick auf die Vorlage, vollendete Werke der Lackkunst von atemberaubender Schönheit.

„Honka-dori“ nennen die Japaner das Nachbilden von Werken großer Vorgänger. Man empfindet dies als Aufgreifen der Melodie. Statt es als bloßes Kopieren abzutun, wird es als eine lobenswerte Anstrengung betrachtet. Im Institut für Lacktechniken in Wajima, einer Kleinstadt im Norden der abgeschiedenen Halbinsel Noto, wird auf dieser Grundlage der Nachwuchs ausgebildet. Rund zehn Schüler nimmt die Fachschule pro Jahr auf, die Bewerbungen für die fünfjährige Ausbildung kommen aus ganz Japan. „Die Schule ist die beste unseres Landes“, sagt Karin Aoyama. Die 22-jährige, in Kanada aufgewachsene Japanerin schätzt an der Ausbildung, dass man hier alles über die Lackkunst lernt – und obendrein sein Auge an den kostbarsten Werken des japanischen Nationalschatzes schulen kann.
Vor der Gründung der Schule in den 60er-Jahren wurde das Handwerk in den Manufakturen selbst erlernt. Davon zeugen heute noch hunderte hoch spezialisierter Werkstätten und Zulieferbetriebe in Wajima, dem Zentrum der japanischen Lackkunst. Ein Großteil der Bevölkerung des Fischerhafens ist an der Produktion von Wajima-Nuri beteiligt. In den Läden in der Stadtmitte gibt es kaum einen Gegenstand, der nicht aus Holz gefertigt und mit Lack überzogen ist.
Die Tradition der japanischen Lacktechnik kann auf eine über 1.000-jährige Geschichte zurückblicken. Urushi-Lack wird als Harz aus dem ostasiatischen Lackbaum, dem „Rhus verniciflua“, gewonnen und anschließend aufbereitet. Mit seinem unnachahmlich tiefen Glanz und der seidenglatten, warmen Oberfläche strahlt der Lack eine ganz eigene Sinnlichkeit aus. Der außergewöhnliche Charakter des Lacks verblüfft: Er trocknet nicht, sondern polymerisiert wie Kunststoff. Einmal ausgehärtet, verfügt er über hohe Festigkeit, ist sogar keimabtötend und hitzefest bis zu 280 Grad Celsius. Außerdem bleibt er sehr elastisch. Einzig starke UV-Strahlung bekommt ihm auf Dauer nicht.

Pure Handarbeit

Der Entstehungsprozess der Lackarbeiten ist enorm aufwändig. Zunächst wird ein Kern – meist aus Holz – in einem etwa 30 Arbeitsschritte umfassenden Verfahren in zahlreichen Schichten grundiert und anschließend lackiert. Immer wieder wird der transluzente Lack aufgelegt, gespachtelt, geschliffen und von Hand poliert. Erst durch diese Vielzahl hauchdünner, übereinander gelegter und polierter Lackschichten entsteht der weiche, brillante Glanz. Angesichts der verblüffenden Wirkung, die von fertigen Urushi-Lackarbeiten ausgeht, mutet ihre Herstellung mit den verwendeten Werkzeugen in Handarbeit nahezu archaisch an. Die Bearbeitungsmöglichkeiten des Lacks sind vielfältig. Zu den bekanntesten Verfeinerungs-Techniken gehört dabei „Chinkin“ und „Makie“. Während ersteres das Eingravieren von Golddekor bezeichnet, ist „Makie“ eine Maltechnik, die Metallpulver und dünne Blätter von Gold, Silber und Muscheln für die Verzierung verwendet. Mit seinen besonderen Trocknungseigenschaften setzt der Lack dem Künstler aber sehr enge Grenzen. Dabei sind Faktoren wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur entscheidend für die Güte der Oberfläche und den endgültigen Farbton. Soll die Arbeit nicht umsonst gewesen sein, muss jedes Staubkörnchen während des Auftragens der letzten Lackschicht strikt vermieden werden.


Lack für den Raum

Minderwertiger Urushi-Lack wird für großflächige Lackierarbeiten verwendet. Der Architekt Shinji Takagi aus Wajima verleiht Interieurs damit glänzende, von Braun bis Dunkelrot changierende Oberflächen. Hierbei wird der Lack mit einem Lappen abgewischt und so ins Holz gerieben. Oftmals wird das Holz mit natürlichen Pigmenten wie rotem Eisenoxid vorbehandelt. Shinji Takagi demonstrierte sein Können unter anderem mit der Restaurierung eines Ende des 18. Jahrhunderts gebauten Hauses eines Lackhändlers aus Wajima. Der lang gestreckte Bau beherbergt – neben den Räumen für das Familienleben – Räume mit Shinto-Schreinen und buddhistischen Hausaltaren, ein repräsentatives Zimmer für den Kundenempfang sowie einen Garten. Im zweiten Stock waren Warenlager und Werkstätten selbst untergebracht. Papierschiebetüren sorgen für gedämpftes Licht, dünne Bambusstäbe erlauben hier und da Durchblicke, Böden, Säulen und Balken sind mit rotbraunem Urushi lackiert – ein Gebäude, das Würde vermittelt.

Transfer nach Europa

„Ich bin in Wajima in ein lackiertes Universum eingetaucht“, sagt Salome Lippuner. Die Westschweizer Gestalterin ist eine der wenigen Menschen, die die Urushi-Technik außerhalb Japans beherrscht. Schon als Kind hatte sie der kostbare Glanz und die seidenmatte Oberfläche japanischer Lackarbeiten verzaubert. Während eines Aufenthalts in Wajima hatte sie das Glück, sich in der Manufaktur Shokodo in allen Arbeitsschritten der Urushi-Kunst zu üben. Sie brachte Urushi-Rezepturen und -Techniken in die Schweiz. Für ein Wohnhaus in Sozza entwarf sie eine schlichte, maßgeschneiderte Badewanne. Der Bauherr wünschte sich einen Solitär, der an die japanische Badekultur erinnern sollte. Die Wanne wurde aus Eichenholz gebaut, perfekt glatt gehobelt und mit Urushi-Lack behandelt. Zwölf sorgsam aufgetragene, hauchdünne, rot pigmentierte Lackschichten sorgen für Haltbarkeit und tiefen Glanz. Salome Lippuner gestaltet mit dem Naturlack aber auch skulpturalen Schmuck. „Die Künstler in Japan beneiden mich ein wenig um die Freiheit, die ich hier habe im Umgang mit Urushi.“ Diese Freiheit birgt jedoch Chancen. Denn das Handwerk in Japan hat Zukunfts- probleme. Dies bestätigt auch die angehende Lackkünstlerin Karin Aoyama: „Die Tradition geht nach und nach verloren. Wir müssen neue Formen für Urushi finden“.

Andrea Eschbach
Quelle: Malerblatt 02/2009


Schülerinnen des Instituts für Lacktechniken in Wajima schleifen und polieren die mit Lack überzogenen Holzrohlinge.
Die Lackarbeiten trocknen in großen Schränken bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von mindestens 60 Prozent sowie einer Temperatur von rund 24 Grad
Mit Silber- und Goldpigmenten werden die Kunstwerke weiter verziert und verfeinert

Fernöstliche Lackkunst aus der Schweiz: Eine Badewanne aus Eichenholz, mit zwölf Lackschichten zu einer Raumskulptur verfeinert.
Eine Schülerin des Instituts für Lacktechniken in Wajima verziert mit hauchdünnem Pinsel ein Bild in der „Makie“ genannten Technik.

Das Haus des Lackhändlers Osaki Syouemon beherbergt große Schätze der Lackkunst. Natürlich ist auch der Wandschrank mit Urushi-Lack behandelt.

 

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