Drei frische Farben prägen die neuen Rems-Murr-Kliniken in Winnenden, architektonisch und auch künstlerisch.
Spricht man über Farbe im Krankenhaus, dann meist im Zusammenhang mit Orientierungssystemen, Kunst am Bau oder der Gestaltung von Patientenräumen. Im neuen Rems-Murr-Klinikum lässt sich eine weitere Spielart betrachten, die man auch als Symbiose aus Kunst, Architektur und Orientierung bezeichnen kann. Das Klinikum mit mehr als 600 Betten besteht aus sechs Baukörpern, den sogenannten Pavillons – drei davon docken links und rechts an eine zentrale Achse, Magistrale genannt, an. Das Farbkonzept der Architekten entspricht einem frischen Dreiklang aus Grün, Gelb und Orange, soll außen Bezug zur Natur nehmen, ohne seine gestalterische Eigenständigkeit zu verlieren.
Diese drei Farben bilden auch den Ausgangspunkt für das Wandbild, das die 176 Meter lange und über zwei Geschosse reichende Magistrale in eine faszinierende Abfolge aus vertikalen Farbfeldern taucht. Der Künstler Burghard Müller-Dannhausen aus Koblenz entwarf diese lange Farbwand – und setzte sie auch selbst mit Lascaux-Farben um. Sein Dreiklang erweitert die drei Basisfarben auf jeweils 15 Subtöne, die sich zu sehr unterschiedlichen, aber stets positiven Stimmungen addieren. Besucher und Patienten können sich so nach der Idee des Künstlers eigene Bezugspunkte schaffen, also Wandbereiche finden, die ihnen besonders zusagen, emotional bewegen oder motivieren.
Die Proportionierung der Felder nimmt Bezug auf jene, die entlang der Magistrale unterwegs sind – auch in der Vertikalen. So sind die horizontalen Begrenzungen nicht etwa willkürlich gesetzt, sondern genau auf Augenhöhe, auf Liege- oder Fußhöhe oder weit über zwei Meter weit oben, was der Künstler als Vater-Kind-Höhe bezeichnet. Derweil variiert auch die Breite der Felder, einer klanglichen Verdichtung und Aufweitung ähnlich. Sämtliche Feldgrenzen verschränken sich schließlich zu einem spannenden und immer wieder neu erlebbaren Farbkontinuum, das sinnbildlich den Weg zur Genesung begleitet.
Dort, wo von der Magistralen Abzweigungen zu den Pavillons ansetzen, wird die Farbstimmung prägnanter, komprimierter, um dann wieder offener zu werden. Komplementäre Farbvarianten sind bewusst gesetzt, nicht um zu stören, eher um Momente des Innehaltens zu erzeugen. So scheint die gesamte Wand in Bewegung zu sein, wie sanft sich biegendes Gras im Wind. Das erstaunt, denn die Flächen mit ihrer strengen Geometrie vermeiden jede organische Anmutung, sie bleiben abstrakt – jeder, ob Patient, Besucher oder Pflegepersonal kann so seine ganz eigene Bilderwelt finden und hineininterpretieren. Die Farbwand von Burghard Müller-Dannhausen in den Rems-Murr-Kliniken bietet also weit mehr als nur visuelle Erbauung, sie ermöglicht Individualität – und damit etwas, das in der durchgetakteten und auf Effizienz getrimmten Klinikwelt nur allzu oft auf der Strecke bleibt.
Armin Scharf
praxisplus
176 Meter lang ist die Farbwand, die sich längs durch das neue Klinikum in Winnenden zieht. Der Koblenzer Künstler Burghard Müller-Dannhausen gewann den Wettbewerb für die Kunst am Bau, sein Konzept basiert auf den drei Architekturfarben, interpretiert und transformiert diese vielfach. Die Farbwand setzte der Künstler vor Ort selbst um – mit Lascaux-Farben.
Rems-Murr-Kliniken
Am Jakobsweg 1, 71364 Winnenden
Architektur:
Hascher Jehle Architektur, Berlin
Bauherr:
Rems-Murr-Kliniken gGmbH, Winnenden
Kunst am Bau:
Burghard Müller- Dannhausen, Koblenz
Fotos: Burghard Müller-Dannhausen
Quelle: Malerblatt 1/2015