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St. Gotthard, Hospiz

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St. Gotthard, Hospiz

Wer von Norden ins Tessin oder noch weiter gen Süden reist, der überquert die Alpen in der Regel am Gotthard-Pass.

Ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich der Pass zur wichtigsten Nord-Süd-Verbindung, heute jedoch fährt man eher untendurch, entweder im Bahntunnel oder dem Straßentunnel der Autobahn A2.

Wer dennoch über den Pass fährt, benötigt zwar etwas mehr Zeit, wird aber nicht nur mit einem faszinierenden Bergpanorama belohnt. Denn oben, in 2.106 Metern Höhe, tut sich eine kleine Ebene auf, mit stillem See, grünen Wiesen und gleich mehreren Gebäuden, dazwischen Motorradfreaks und Radfahrer, die den Pass über die alte, gepflasterte Straße emporgeklommen sind. Mittendrin entdeckt das Auge ein skurriles Gebäude, hoch aufragend, mit einem mächtigen Dach – einem rauen Bergkristall gleich. Es ist das Hospiz St. Gotthard, das älteste Bauwerk auf dem Pass überhaupt.

Das Hospiz entstand schon im 13. Jahrhundert, als der erste Säumerweg mit Brücken über Schluchten passierbarer gemacht wurde – und mittellose Reisende auf dem Pass Bewirtung, Nachtlager und Pflege fanden. Mehrfach wurde das Haus erweitert, bis es 1799 in den Kriegswirren zwischen Franzosen und Russen zerstört wurde. 1834 vom Kanton Tessin erneuert, betreute das Hospiz ab 1838 die Familie von Felice Lombardi aus Airolo und baute 1866 ein komfor-tableres Hotel gleich daneben. 1971 gab die Familie ihr Engagement auf der Passhöhe auf und die damals neu gegründete „Stiftung St. Gotthard“ übernahm den kompletten Baubestand, zu dem auch ein alter Stall (heute Jugendherberge), ein Pferdestall (heute Käsekeller) und das ehemalige Warenlager Alte Sust (heute Museum) gehören.


Entkernt und neu ausgebaut

Das älteste Gebäude aber bleibt das Hospiz – genauer gesagt dessen Kapelle im hinteren Teil. 1230 soll der Mailänder Erzbischof die Kapelle dem Heiligen Godehardus geweiht haben, die ihrerseits wieder auf Fundamenten aus karolingischer Zeit steht. Während die Nachbarbauten sukzessive saniert werden, bleibt dem Hospiz lange nur die Aschenputtel-Rolle. Genau bis 2005, als die Stiftung einen Studienauftrag zum Umbau auslobte. Die Architekten Miller & Maranta aus Basel meisterten die schwierige Aufgabe, die historische Substanz mit den Anforderungen eines heutigen Hotels zu verbinden.
„Sie machten sich zum Ziel, die architektonische Wirkung des Gebäudes zu klären und zu stärken“, schreibt Axel Simon im schweizerischen Architekturmagazin Hochparterre über die architektonische Idee.

Die Vorgehensweise erinnert an eine zahnärztliche Behandlung: Das zerklüftete, marode Hospiz aus Bruchsteinmauerwerk wurde zunächst oberhalb des ersten Stocks entkernt, der charakteristische Giebel um eine Etage erhöht, eine tragende Holzstruktur ins Innere eingezogen und dann ähnlich einer Zahnkrone ein mächtiges, schützendes Dach übergezogen, aus dem zahlreiche Gauben lugen. Das Dach sieht nicht nur schwer aus, es wiegt tatsächlich, weil aus Blei, satte 25 Tonnen. „Ein verhaltener Umgang mit dem Flickwerk des Bestandes wäre an dessen erbärmlichen Zustand gescheitert“, schreibt Axel Simon weiter. Und so ist alles, was sich über der bereits 1980 renovierten Kapelle befindet, komplett neu.


Holzkammern mit Bergblick

Das Treppenhaus besteht aus Beton und steift die links und rechts ansetzende, vorgefertigt eingebaute Holzkonstruktion mit den Zimmern aus. Seit August 2010 kann man in den 14 neuen Räumen bis unters Dach logieren – einfach, aber hochwertig möbliert. Wände, Decken und Böden bestehen aus unbehandelter Fichte, auch die Möblierung wurde ganz aus Holz gefertigt. Das Ständerwerk der Konstruktion durchdringt die Zimmer und trennt Bettnischen ab – damit wachsen Statik und Raumgliederung zusammen. Ganz oben im spitzen Dach befindet sich eine über zwei Ebenen laufende Suite, auch hier mit einer Wendeltreppe aus Fichte.

Im kleinen Gastraum sowie im Treppenhaus tragen die Wände einen dünnen, gefilzten und grauen Kalkputz.

Kalkzementputz mit Lasur

Außen griff man den vorhandenen Putz in seiner Grobheit und Farbe auf, ergänzte die neuen und schadhaften Stellen mit einem eigens angefertigten, pigmentierten Kalkzementputz. Anschließend wurden alte und neue Flächen mit einer pigmentierten silikatischen Lasur (Keim Restauro-Lasur) optisch homogenisiert. Erkennbar sind die neuen Bereiche vor allem durch die Fensterformen am Giebel: Die Kastenfenster der ersten beiden Etagen – mit den Rundbogenfenstern der Gaststube – wurden restauriert, darüber folgen neue zweiflügelige Fenster und im Dachspitz schließlich befindet sich ein ganz modernes, einflächiges Fenster.

Die Sanierung des Hospizes kennzeichnet einen sehr eigenständigen Umgang mit historischer Bausubstanz, erhält diese nicht nur im musealen Sinn, sondern schreibt sie weiter in die Gegenwart hinein. Es ist eher eine Transformation denn eine klassische Restaurierung, die die Architekten hier angeschoben haben – und damit auch die zeitgemäße Nutzung eines geschichtlich und topografisch spannenden Ortes ermöglichen.

Armin Scharf

 

 

 

 


Rauer Bergkristall
Zeitgemäßes Hotel mit hölzernem Innenleben.|

Rauer Bergkristall
Die Rückseite zeigt sich, mit dem weit herabgezogenem Dach, spektakulär. |

Rauer Bergkristall
Die schlicht gestaltete Suite im Dachspitz erhält durch das unbehandelte Fichtenholz eine ganz besondere Anmutung. |

Rauer Bergkristall
Das Treppenhaus bildet den neuen Gebäudekern aus Beton.|

 

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