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Farbe in der Raumfahrt

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Farbe in der Raumfahrt

Farbe in der Raumfahrt spielte bislang eine untergeordnete Rolle. Das soll sich ändern. Ein Malerblatt-Interview.

Dass Farbe eine große Bedeutung für die Befindlichkeit des Menschen hat, ist unbestritten. Und dennoch ist ein Bereich bislang kaum von Farbgestaltungen berührt: Raumkapseln, Raumstationen oder sogenannte Habitate für Mond oder Mars.

Es gibt im Prinzip drei unterschiedliche Bilder von Raumstationen: die strahlend weißen Welten cooler Science-Fiction-Filme, die düsteren, bedrohlichen und verwirrenden Filmwelten oder die Realität der ISS mit chaotisch angeordneten Leitungen, Experimentiergeräten und Rechnern aller Art. Farbe ist hier weitgehend Mangelware. Dabei machen sich Forscher durchaus Gedanken über die stimulierend-emotionale Rolle der Farbe auf Langzeitmissionen. So auch das Wiener Büro Liquifer, das kürzlich den Prototypen des Habitats SHEE vorgestellt hat, einer modularen Station für Mond oder Mars.

Malerblatt-Autor Armin Scharf sprach darüber mit Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder.


Ist die farbige Gestaltung des Inneren von Raumschiffen oder Raumstationen überhaupt ein Thema?

Barbara Imhof: Einige Astronauten sind sehr erstaunt, wenn sie das erste Mal auf der Internationalen Raumstation (ISS) ankommen, weil alles so weiß ist. Der nicht russische Teil der ISS ist hauptsächlich weiß, nur die blauen Handgriffe bzw. Fußhalterungen und konstruktiven Aluminiumstrukturen der sogenannten Racks des Einrichtungssystems heben sich deutlich ab. Das ermöglicht, die Haltegriffe schnell zu finden. Manchmal erkennt man aber auch deutlich die in Rosa oder Blau getauchten Nodes, also die Zwischenstücke, die Module verbinden.
Die einzigen farblich gestalteten Module der ISS sind die russischen Module. Das Farbschema geht auf die Konzepte der Architektin Galina Balaschowa zurück, die Interieurs für die Raumschiffe Woschod, Sojus, die Raumstation Mir und die Raumfähre Buran entwickelte. Die ISS-Farbgebung basiert auf der Mir wurde nur wenig verändert und bezieht gedeckte Farbtönen aus dem Blau-, Grün- und Gelbspektrum ein. Im Entwurf zur Raumstation Mir von 1980 hat Balaschowa die Bodenflächen in Grün gehalten und die Wände in Gelb. Einige Elemente, etwa der Tisch, an dem gemeinsam gegessen wurde, trugen ein gedecktes Rot. Obwohl es in Raumstationen eigentlich kein oben oder unten, keine Wände und Böden gibt, wurde so ein Orientierungssystem etabliert.

Die ISS heute: Durch immer neue Experimente wuchert das visuelle Chaos – Orientierung und Akzente bringen lediglich die „Nodes“, also die Verbindungsstücke zwischen den Modulen, hier in Rosa.
Foto: NASA


Existieren Forschungen oder Untersuchungen zum Einfluss farbiger Interieurs auf die Befindlichkeit von Astronauten während längerer Aufenthalte im All?

Imhof: Die Lissaboner Architektin Maria João Durão hat eingehend das amerikanische Skylab-Programm analysiert. Dabei wurde klar, dass Astronauten vor allem für kleinere im Raum schwebende Objekte prägnate Farben bevorzugten, da diese besser erkennbar waren. Schon zu Skylab-Zeiten berichteten die Astronauten, dass die Farbeintönigkeit, so wie sie derzeit in den meisten Modulen auf der ISS vorherrscht, irritierend sei.
Maria João Durão ist eine der wenigen Personen, die im Umfeld von Farbwahrnehmung und Aufenthalt in Raumstation forscht. Sie beschreibt, dass die Farbe Gruppen von konstruktiven und räumlichen Elementen optisch zusammenhalten kann – oder dass Teile, die sich innerhalb der gleichen Organisationseinheit befinden, ähnliche Farben haben können.
Zugleich sollte man Farbirritationen abbauen. Zum Beispiel bei Feuerlöschern: Sind sie auf der Erde fast immer rot gekennzeichnet, zeigen sie sich an Bord der Raumstation grau. Für Astronauten, die den roten Code gewöhnt sind, erschwert dies, die Löscher im Notfall aufzufinden.

Das Trainingsmodul der russischen Raumstation MIR zeigt das Farbkonzept von Galina Balaschowa.
Foto: Elke Wetzig


Welche Überlegungen haben Sie bei der Konzeption des Habitats SHEE angestellt? Und welche Bedeutung hat die Farbe dort?

Waltraut Hoheneder: Boden, Wände und Decken gehen aufgrund der abgerundeten Ecken des Moduls ineinander über. Die Grenze zwischen Boden- und Wandfarbe befindet sich dort, wo die vertikalen Wandbereiche beginnen. Der hochgezogene Horizont lässt den Raum großzügiger erscheinen, was durch die Farbwahl – Weiß für Wände und Decke sowie Hellgrau für den Boden – unterstützt wird. Die hellgraue Bodenfarbe ist reinigungsfreundlicher, der positive helle Eindruck bleibt erhalten. Alle farbigen Ausstattungsmerkmale, beispielsweise textile Akustikelemente, können je nach Anforderung und persönlicher Präferenz gewählt und kostengünstig getauscht werden. Das flexible Farbkonzept ermöglicht einen hohen Grad an individueller Gestaltungsmöglichkeit, wodurch den kulturellen und persönlichen Präferenzen bei der Farbwahl Rechnung getragen wird.

SHEE ist ein Simulations-Habitat, mit dem zukünftige Missionen zu Mond oder Mars getestet werden.
Foto: Liquifer


Welche Farbigkeiten sind aus Ihrer Sicht geeignet?

Hoheneder: Die Farbwahl ist von persönlichen Präferenzen, aber auch vom Ort der Anwendung abhängig. Für Arbeitsräume werden in der Regel andere Farben bevorzugt als für private Räume. Das gilt auch für die Helligkeit und Intensität der Farbe. Bei der Ausstattung von SHEE gingen wir davon aus, dass die Farbwahl für persönliche Rückzugsräume einen höheren Stellenwert haben dürfte als für allgemein genutzte Bereiche. Die Möglichkeit, Farben entsprechend den persönlichen Bedürfnissen zu wählen und mit Lichtsteuerung zu variieren, erachten wir für Weltraumhabitate als wesentlich, denn die Bewohner können sich nicht einfach durch Verlassen des Raumes entziehen.

Wie kann die Farbe bei der Orientierung in der Schwerlosigkeit helfen?

Hoheneder: Das SHEE-Modul wurde für die planetare Exploration entworfen, wo ein gewisses Maß an Schwerkraft vorhanden ist. Oben und unten sind klar definiert. Allerdings können abgerundete Ecken, die sich aus den konstruktiven Anforderungen an die Habitathülle ableiten, bei homogener Farbwahl die Orientierung beinträchtigen. Unterschiedliche Farbgebung für Boden und Wände wirken dem entgegen.
Imhof: In der Schwerelosigkeit helfen Farben tatsächlich bei der Orientierung. In der russischen Saljut-7-Station beispielsweise waren rechts und links mit unterschiedlichen Farben markiert.

Weiße Flächen gelten gemeinhin als steril und reizarm, wird Farbe auch als Stimulanz genutzt?

Hoheneder: Längerfristige Aufenthalte in beengten Innenräumen bedingen eine drastische Reduktion sensorischer Reize. Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung eines Raumes könnten diese Defizite mildern, da bei selbst gewählten Farben vermehrte positive Sinneswahrnehmungen zu erwarten sind. Effekte stimulierender Farben verringern sich mit der Dauer ihrer Präsenz. Variationsmöglichkeiten dürften die stimulierende Wirkung von Farben verstärken. Ästhetisches Empfinden wiederum ist bekanntlich kulturell geprägt, über den ästhetischen Ausdruck werden Gemeinsamkeiten oder Abgrenzung gegenüber anderen Personen oder Kulturen betont. Je mehr Veränderungsmöglichkeiten bestehen, umso mehr können auch veränderte Beziehungen zwischen den Benutzern zum Ausdruck gebracht werden. Die ergonomische Relevanz von Farben steht eng im Zusammenhang mit der Wahl der Beleuchtung.

Beim SHEE-Habitat taucht Farbe an einzelnen Wandbereichen auf, mehr noch in Form individualisierbarer Lichtfarbigkeit.
Foto: Liquifer


Und welche Oberflächenmaterialien kommen in Frage?

Hoheneder: Die Materialien im Simulations-Habitat SHEE unterliegen den strengen Anforderungen an weltraumtaugliche Materialien, die eine ausgiebige Zertifizierung erfordern. Unabhängig davon sind Eigenschaften wie Dauerhaftigkeit, Hygieneanforderungen und geringe Entflammbarkeit von wesentlicher Bedeutung. Daneben spielen weitere Materialeigenschaften für das Wohlbefinden eine Rolle, die aber zu den oben genannten Eigenschaften im Gegensatz stehen könnten. Etwa weiche, textile Materialien, wie sie häufig bei Akustik-Wandelementen zum Einsatz kommen.

Was kann Licht, beispielsweise die gezielte Nutzung von unterschiedichen, den Tageszeiten entsprechende Lichtstimmungen beitragen?

Hoheneder: Licht hat einen starken Einfluss auf die atmosphärische Wirkung der Farben eines Raumes. Eine variable Beleuchtung kann dieselbe Farbe auf unterschiedlichste Weise verändern, dies gilt nicht nur in Bezug auf die Lichtfarbe, sondern auch auf die Lichtstärke und den Lichteinfallswinkel. Für das SHEE-Habitat wurde eine hoch-flexible Grundbeleuchtung gewählt, die individuell dimmbar ist und es erlaubt, die Beleuchtungskörper zu drehen oder zu klappen, um den Lichteinfallswinkel zu verändern. Der Einsatz von möglichst neutraler Lichtfarbe wurde von einem Teilnehmer an einer Langzeitsimulation bestätigt. Zusätzliche Akzentbeleuchtung ergänzt die Grundbeleuchtung.
Für die Abdeckung individueller Lichtbedürfnisse in den persönlichen Rückzugsräumen wurde ein Leuchtfeld in Form eines Fensters entwickelt, das über persönliche Programmierung die Lichtfarbe ändern bzw. terrestrische Lichtqualitäten simulieren könnte.
Dies ist bei Missionen von Bedeutung, bei denen sich der Tagesverlauf vor Ort maßgeblich von dem Tag-Nacht-Rhythmus auf der Erde unterscheidet. Ein Mondtag entspricht 14 Erdtagen, gleiches gilt für die Mondnacht. Simulation terrestrischer Tag- und Nachtrhythmen dürfte das menschliche Wohlbefinden auch weit draußen im All positiv beeinflussen.

Das außen weiße SHEE-Habitat wird in komprimiertem Zustand transportiert und dann für den Einsatz auseinandergefaltet. SHEE ist ein selbst entfaltendes Habitat, das Testzwecken dient und als Vorläufer der größeren Mars-Base 10 dienen soll. Diese Habitate sollen Menschen den längeren Aufenthalt auf dem Mars oder Mond ermöglichen. Das Design des EU-Projektes SHEE stammt von der Wiener Liquifer Systems Group, wo man sich schwerpunktmäßig mit Weltraumarchitektur beschäftigt.
www.liquifer.com
www.shee.eu

Quelle: Malerblatt 07/2016, Autor: Armin Scharf, Fotos: NASA, Liquifer

Impressionen zu diesem extraterrestrischen Thema finden Sie in der Bildergalerie des Hubble Teleskops.

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