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Ethik der Farbgestaltung (1)

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Ethik der Farbgestaltung (1)

„Gibt es eine Ethik der Farbgestaltung”. In drei Ausgaben geben wir den Vortrag im Original wieder. (Teil 1)

Gibt es eine Ethik der Farbgestaltung? Vor etwas über einem Jahr war ich zur Vorbereitung der Konferenz des Deutschen Farbenzentrums, bei einem Entwicklungsworkshop. „Farbe als Experiment”, so der Titel der Tagung. „… ist eigentlich schade, Experimente habe ich schon lange nicht mehr gemacht”, dachte ich. Experimente, nach meiner damaligen Definition, waren spannend, aufregend und sie schafften Bewusstsein. Man stelle sich das Gesicht meiner Kunden vor, wenn ich sagte: „ich habe da mal ein Experiment vor.”

Leitlinien

So glaubte ich nicht viel zum Thema beitragen zu können, bis ich die Frage in den Raum stellte: „Wie ist denn die Definition von Experiment?” „Einem Experiment muss eine Frage vorangehen!” Eine Frage geht jedem meiner Projekte voran. Viele Fragen. Darin besteht die Hauptarbeit. Aber welche Fragen sind es, die ich stelle? Es sind die Fragen nach richtigem oder falschem Handeln. Aber nach welchen Kriterien entscheide ich denn, was richtig oder falsch ist? Aus welchem Grund entscheide ich, was ist meine Motivation? Habe ich Leitlinien? Wenn ja, welche? Und: Ist die Suche nach dem richtigen Handeln und seiner Begründbarkeit nicht Ethik? Als ich die Idee zu diesem Experiment kommunizierte, gab es im Wesentlichen drei unterschiedliche Reaktionen:

Die erste davon war Skepsis, Irritation, bis hin zu Hohn. Wie konnte ich mir anmaßen ein so großes Wort wie „Ethik” mit einem so kleinen Wort wie „Farbgestaltung” in Verbindung zu bringen? Aber sind denn die beiden Wörter nicht gleich groß? Bin nicht ich es, die sie mit Bedeutung füllt? Ist es nicht sogar so, dass das Wort „Ethik” ganz klein wird, wenn es das Wort „Farbgestaltung” nicht auszufüllen vermag? Die zweite Reaktion waren direkte Assoziationen zur Farbgestaltung ohne an einzelnen Wörtern hängenzubleiben. So berichtete mir eine Mutter von dem roten Haus gegenüber eines Frisörsalons. Der Frisör will nun klagen, weil es ihm nicht mehr möglich ist, unter objektiven Bedingungen Haare zu färben.

Oder die Dame, die dreimal bei Regen an einer Häuserzeile mit drei bunten Häusern vorbeifuhr, um mir ein Video von ihrem Smartphone zu schicken. Oder der Malermeister, der so traurig über das jetzt blaue Gebäude gegenüber der alten Feuerwehr ist. Oder der Nachbar, der findet, dass das neu gestrichene Haus in unserer Straße irgendwie „unecht” aussieht. Kann ich nur ethisch sein, wenn ich Arzt bin, nicht aber wenn ich einen „die Oberfläche gestaltenden” Beruf ausübe? Zeigt sich Ethik, wenn ich mein Fleisch vom Biometzger kaufe, nicht aber wenn ich ein Farbkonzept erstelle? Ist Ethik und die damit verbundene Urteilskraft nicht fachspezifisch einzusetzen? Vergleicht Aristoteles dies nicht mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns? Ist Ethik denn überhaupt teilbar? Versucht man nicht entweder ethisch zu handeln, oder nicht? Die dritte Gruppe schließlich sagte: Interessant, wie gehst du denn da ran? Dieser Gruppe ist es zu verdanken, dass ich heute hier fragend stehen darf.

Ethik bezeichnet man auch als die „praktische Philosophie”, weil sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Ethik befasst sich mit Moral und ihrer Begründbarkeit. Moral ist ein Verhaltenskodex gewisser Gruppierungen zu einer gewissen Zeit und ist wandelbar. Es gab eine Zeit, da galt es als unmoralisch, sich scheiden zu lassen, als Frau Hosen zu tragen, oder gleichgeschlechtliche Liebe zu leben. Die Ethik hat diese „Sitten und Bräuche” hinterfragt, bis sich die Moralvorstellungen innerhalb der Gesellschaft verändert haben. Eine Ethik legt fest, welchen Werten der Mensch im Leben folgen soll. Sie fragt: „Was ist der Mensch wert?” Dabei setzt sie die Fähigkeit voraus, die Situation selbstverantwortlich zu beurteilen.

Auf dem Rückweg sitze ich im Zug und denke an die früheren „Experimente”, also diejenigen, mit dem körperlichen Einsatz, mit denen man die Miete nicht bezahlen kann. Waren sie ethisch motiviert? Die Frage nach einer Ethik in der Farbgestaltung stellt sich mir, um meine eigenen Werte zu überprüfen und auch dem, was ich von ihnen verlange. Ethik basiert auf Würde und Respekt. In meinem Fachbereich also der Respekt und die Würde gegenüber der Gestaltung, der Farbe und dem Menschen.

Experiment Gestaltung

Die anonymen Gestalter zollen der Gestaltung Würde und Respekt, die ohne Profit, Profilierung oder Personenkult auskommt, der anonymen Gestaltung. Grundlage ihrer Inspiration ist nicht der Trend, sondern der Nutzen, der Bedarf, die Funktion, der Zweck. Sie gehen auf die Pirsch um diese Gestaltung aufzuspüren und stellen sie auf der „Designers Fair” in Köln ins Rampenlicht. Sie geben ihnen eine Bühne, um zu zeigen, wie gut, wie einfach, wie facettenreich, wie kreativ und lebendig diese unzensierte Gestaltung sein kann. Gestaltung die aus Lust entsteht, oder aus der Not heraus, oft unbewusst – genauso oft unentdeckt.

Gestaltung, die aus Lust entsteht, …

… oder aus der Not heraus, oft unbewusst …

… genauso oft unentdeckt.

Experiment Farbe

Und worin zeigt sich der Respekt des Farbgestalters gegenüber der Farbe? Wie ist Farbe zu würdigen? Auf einer Ausstellung der Gestaltergruppe „Teilmöbliert” experimentierten wir damit, wie diese Würde, dieser Respekt, und diese Liebe zur Farbe bildhaft dargestellt werden könnte und es entstand die Installation WGS 1. Die Ausstellung war in einem Rohbau. Im Hintergrund waren die Geräusche aus dem Kölner Dom an einem Samstagnachmittag zu hören und es duftete nach wertvollem Räucherwerk.

Respekt empfinde ich vor der Größe Farbe, ihrer Macht, ihrem Zauber, ihrer Berechenbarkeit und ihrer Unberechenbarkeit, davor, dass es mir unmöglich ist, eine Farbe aus dem Gedächtnis abzumustern, davor dass es Diplomarbeiten über die empfindungsmäßige Verschiebung von Farbton-Helligkeit und -Sättigung von kleiner auf großer Fläche gibt. Ich habe Respekt vor dem Wesen der Farbe, ihrer körperlichen Wirkung, ihrem Symbolcharakter, ihrer psychologischen Wirkung, ihrem funktionalen Charakter, der uns das Leben erleichtert und ihrer Magie, mit der sie uns das Leben verschönert. Würde gebe ich ihr, indem ich sie nicht leichtfertig einsetze, sondern mit Herz und Verstand, mich an ihr erfreue und diese Freude teilen möchte.


Experiment Mensch + Farbe

Das dritte experimentelle Projekt war ein Buch, das den Titel trägt „Welche Farbe hat Weihnachten?” Diese Frage stellten wir 25 Menschen: werten Kollegen, die hier ebenfalls referieren, aber auch einem Arbeiter, einer Anwältin, einem Gewaltforscher und einer Putzfrau. Wir fragten einen Buddhisten, einen Juden, einen Atheisten und einen evangelischen Pfarrer. Am Ende des Buches antwortet uns sogar eine Blinde. Ihre Antworten waren so unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen und die Farben selbst, denen wir dieses Buch widmeten.

Die Ausstellung fand in einem Rohbau statt.

Hintergrundgeräusche aus dem Kölner Dom.

Es duftete nach wertvollem Räucherwerk.

Respekt habe ich vor der Größe der Farbe.

Das Experiment

Lassen sich ethische Leitlinien einer Farbgestaltung festlegen? Ziel der Ethik ist die Erarbeitung von allgemeingültigen Normen. Diese müssten:

· jederzeit anwendbar sein

· einen gewissen Allgemeinheitsgrad haben

· für jedermann verstehbar, überprüfbar, nachvollziehbar sein.

In der Folge werden Fragen und Begriffe benutzt, die scheinbar längst ihre Aussagekraft verloren haben und zu leeren Worthülsen geworden sind. Kaum eine Webseite kommt ohne sie aus. Auch meine nicht. Und so stelle ich diese Frage, um Impulse zu geben, sich (wieder) bewusst mit ihnen auseinanderzusetzen. Dabei sind die Begriffe nicht getrennt voneinander zu sehen. Nach meiner Ansicht beinhalten sie sich gegenseitig.

Wertekriterien

Wertekriterien für eine „Ethik der Farbgestaltung” könnten sein:

Menschlichkeit: Farben haben eine Wirkung. Immer. Und mit jeder Farbentscheidung, die wir treffen, setzen wir eine Ursache. Ist es nicht unsere Pflicht, die bestmöglichen Ursachen zu setzen um für die Menschen die bestmögliche Wirkung zu erzielen?

Funktionalität: Ist die Farbigkeit der Raumfunktion entsprechend dem Licht der Struktur, dem Material? Ist es orientierungsfreundlich oder eher nicht? Ist es auch der Aufenthaltsdauer entsprechend? Spricht die Gestaltung unsere Sinne an? Denn auch das ist eine Funktion der Farbe.

Achtsamkeit: Ist das Briefing gut? Höre ich aktiv zu? Wurde sorgfältig recherchiert?

Achtsamkeit: Übernehme ich die Verantwortung für das eigene Handeln oder sehe ich diese bei Dritten? Weiß ich um die Farbphänomene? Weiß ich um die kulturellen und lokalen Gegebenheiten? Gibt es einen reibungslosen Ablauf? Termingerechte Abgabe? Sorge ich für einen guten Dialog? Bringe ich mein Wissen zum Nutzen aller ein?

Nachhaltigkeit: Ist die Material- und Produktwahl sorgsam gewählt? Hält die Gestaltung der Zeit stand? Kann sie Vandalismus entgegenwirken? Fördert sie Identität?

Ökonomie + Ökologie: Wird gewissenhaft geprüft, welche Erneuerungen nötig sind? Werden vorhandene Elemente mit- einbezogen? Ist die Gestaltung im ausgewogenen Verhältnis von Nutzen und Verbrauch? Entsprechen die Produkte den Kriterien für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt?

Aufrichtigkeit: Gebe ich meine aufrichtigen Empfehlungen, auch wenn sie von den Vorstellungen des Auftraggebers abweichen? Stelle ich den Entwurf realistisch vor? Oder ist er geschönt?

Kommunizierbarkeit: Ist die Gestaltung durchdacht und in sich schlüssig? Ist sie verstehbar und nachvollziehbar? Ist die Einbeziehung der Betroffenen und ihre Interessen vermittelbar? Herrscht ein guter Dialog unter den verschiedenen Disziplinen? Wie sich Würde und Respekt am konkreten Projekt zeigen kann und mit welchen Unwägbarkeiten der Farbgestalter rechnen muss, zeigen wir in der nächsten Folge.

PraxisPlus

Nathalie Pagels ist Dipl.- Farbberaterin ICA und seit zwanzig Jahren im Bereich Farbe tätig. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Farbkonzepterin in Düsseldorf. Sie hält Vorträge, gibt Seminare und ist für Unternehmen, Privatpersonen und die Industrie tätig.

Nathalie Pagels
Steffenstrasse 26
40545 Düsseldorf

Tel.: (0170) 6927446
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Malerblatt 12/2014
Autor: Nathalie Pagels
Fotos: Nathalie Pagels

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