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Farbepochen: Moderne

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Farbepochen: Moderne

Die 50er-Jahre waren noch geprägt durch den Wiederaufbau und traditionelle Handwerkstechniken.

Die Sechziger wurden beeinflusst durch den Fortschritt in neuen Produktionstechnologien. Die ganze Wirtschaft in Westdeutschland brummt und der Ausbau der Massenproduktion trägt zum sogenannten Wirtschaftswunder bei. 1961 eröffnete in Mannheim der erste Heimwerker-markt und der aus dieser Zeit stammende soziale Wohnungsbau reduziert die Ästhetik auf rein technische, funktionale Aspekte. Es entstehen die ersten gesichtslosen Trabantenstädte im Westen, der Osten bringt den viel gepriesenen Plattenbau hervor. In diese Zeit fällt die „Erfindung des Waschbetons“ und der Betonplattenbauweise. Hier knüpft man an die Gedanken des Bauhauses und Le Corbusiers mit seinen geplanten Wohnmaschinen an. In Berlin entsteht im Rahmen einer Bauausstellung das Hansa Viertel.

Von farblos nach bunt

Die Farbwelt der 60er ist vielleicht mit Begriffen wie Monotonie und Farblosigkeit zu umschreiben. Vorherrschende unbunte Farbtöne und Farben aus den Materialien heraus bestimmen neben Weiß das Bild unserer Städte. Erst Ende der 60er setzt eine neue Farbbewegung in der Architektur ein. Sie wurde stark durch die Pop-Welle aus Amerika beeinflusst. Vorbildcharakter für die farbige Gestaltung von Architektur liefert die Stadt München, die 1972 die Olympischen Spiele austragen lässt und den Grafiker Otl Aicher mit der Entwicklung eines Corporate Designs beauftragt. Nach 40 Jahren Farbenthaltsamkeit setzt ein regelrechter Farbboom in den deutschen Großstädten ein, es werden Künstler-Wettbewerbe zu Bunkerbemalungen und auch Fassadenwettbewerbe für Malermeister ausgeschrieben und prämiert, wobei dem Thema Farbe eine Vorrangstellung gegenüber der Form eingeräumt wurde. Diesen „Farbverirrungen“ fielen damals auch viele historische Fassaden zum Opfer; Fassaden des Historismus oder des Jugendstils ohne Rücksicht auf denkmalpflegerische Aspekte: Bunt war einfach „in“.


Siebziger Jahre

Eine ganz besondere Vorliebe gilt in den 70er-Jahren den Braun-, erdigen Ocker- und Orangefarbtönen sowie ganz besonders auch verschiedenen Grüntönen, wie z. B. Olivgrün, und dem Farbton Curry, mit denen entweder die trostlosen Gebäude der 60er überstrichen wurden oder Neubauten mit eloxierten Fassadenblechen, Schiefer gedeckten Dach- und Fassadenflächen oder verklinkerte Fassaden gestaltet wurden. Als Rezepte für einen typischen Bau der 70er galten: Sichtbetonelemente, Klinker in Terrakottafarben, Schieferdeckung (meist breitkrempig über das Gesims gezogen), flaschengrüne Holz- oder Metallfenster, eventuell noch der Farbton Cremeweiß. Ebenso hoch im Kurs standen Sichtbetonfassaden mit grafischen Motiven.

Achtziger Jahre

Historische Stilzitate kennzeichnen die Zeit der 80er-Jahre oder auch die Zeit der Postmoderne. In der Architektur werden klassische Fassadenelemente zitiert wie Rundbögen, Ziergiebel, Bossen-Mauerwerk und wertvolle Materialien, dabei ersetzt Messing das Gold. Haben die 70er-Jahre versucht, dem Bewohner ein Gefühl von Geborgenheit durch die gedeckten, erdigen und warmen Farbtöne zu vermitteln, so setzt die Postmoderne in der Farbgebung auf Kühle und Distanz. Der Reinheitsgrad der Farbtöne hat sich entschieden verändert. Die Farbtöne werden aufgehellt mit Weiß, aber kaum gebrochen und wirken dadurch ferner und distanzierter. Diese neue Farbigkeit ist nicht mehr naturverbunden oder materialbestimmt, sie ist vielmehr kühl, klar und frisch. Ebenso ist die Architektur eher Kritik an Gewesenem, mit einem Schuss Ironie, mit sehr viel Lust an Form, Farbe und Dekoration.

Die Neunziger

Die Architektur der 90er-Jahre wird auch bezeichnet als die Zeit des „Dekonstruktivismus“. Geprägt wurde dieser Architekturstil beispielsweise durch die Wiener Künstlergruppe Coop Himmelblau, das Architekturbüro Behnisch und die Architektin Zaha Hadid. Die Farbe Blau an der Fassade und an großen Wandscheiben ist gefragt wie nie zuvor. Je mehr das Blau ins Ultramarin geht, umso besser und entfremdender für die Architektur. Das in der Postmoderne gepriesene Rechteck wird ersetzt durch spitze Winkel, die sich räumlich durchdringen und eine völlig neue Erfahrung des Raumes vermitteln. Im Vordergrund stehen vor allem transparente Materialien wie Glas und Lochbleche, in Kombination mit (farbig gestaltetem) Sichtbeton. Ebenso wie sich die Form aufgelöst hat, erfahren auch die Flächen- und Wandgestaltungen eine Auflösung durch die Verwendung von Lasurtechniken im Außen- wie im Innenraum.


Wo stehen wir jetzt?

Schauen wir heute im Jahr 2011 in die aktuellen Bauzeitschriften und die Internetauftritte junger Architekturbüros, so zeigt sich wieder eine Hinwendung zu einer klaren, reinen Form, vielleicht orientiert an einem „Bauhaus-Revival“ mit primärer Farbgebung in Weiß und Grautönen. Weiß aus der Putzfassade heraus, das Grau gerne aus naturbelassenem oder lasiertem Lärchenholz heraus. Farbe wird auch gerne verwendet, aber nicht, wie noch in den 80er- und 90er-Jahren, in denen mal eine Wandscheibe in einem kräftigen Farbton gestrichen wurde, jetzt wird gleich ein ganzer Baukubus in kräftigem Rot, in Gelb- und Grünvarianten oder auch in Blautönen gestaltet. Die Le Corbusier-Farben finden hier in der Putzvariante gerne wieder ihren Einsatz. Alternativ kommt der Farbton aus werkseitig bereits farblich behandelten, vorgefertigten Holzwerkstoffen heraus. Platz, Luft, Offenheit, Freiheit, Weiträumigkeit ist ein beliebtes Gestaltungskonzept, das Thema Licht und Beleuchtung spielt eine ganz besondere und wichtige Rolle. Gerne wird die das Haus umgebende Natur in das Leben, in den Alltag miteinbezogen. Bodentiefe, deckenhohe Fensterfronten ermöglichen, dass die Bewohner den Wechsel der Jahreszeiten und die Tageszeiten bewusst miterleben können, so dass sie das Gefühl haben mit und nahezu mitten in der Natur zu wohnen.

Ein Ausblick

Fragen wir uns zum Schluss, wie sich wohl das Thema Farbe in der Architektur weiterentwickeln wird? Die Antwort bekommen wir, wie in den meisten Lebenslagen aus der Geschichte. Wir können aus der Geschichte lernen. Wie uns der Überblick über die Verwendung der „Farbe historisch“ gezeigt hat, stellen wir fest, dass es Zeiten gibt, in denen wir der Farbe Weiß und den unbunten Farbtönen Grau, Schwarz und Silber sehr zugetan sind, nach einer langen Zeit der Farbabstinenz sich in uns aber wieder der Wunsch nach Farbe regt und wir eine Vorliebe für starke kräftige Bunttöne entwickeln. Zwischendurch nach zu viel Buntheit und zu viel Sachlichkeit regt sich das Bedürfnis nach wohliger Wärme, Behaglichkeit und vielleicht auch ein wenig Bequemlichkeit, dann neigen wir gerne zu Braun-, Beige-, Ocker- und warmen Metallictönen. Überraschend ist es, dass wir zu den neuen Farbtonkombinationen, wenn sie uns auf Messen oder Ausstellungen präsentiert werden, wieder eine Faszination des „Neuen und Trendigen“ entwickeln. Das hat wohl ein wenig mit der psychologischen Wirkung von Farbe auf den Menschen zu tun. Farbe macht neben ihrer Schutz- und Hygienefunktion unser Leben angenehmer, schöner und bunter, sie gibt uns etwas mehr Lebensfreude und lädt zum Wohlfühlen ein.

Prof. Matthias Gröne, Hochschule Esslingen
 
Weitere Teile der Serie
Baugeschichte. Baustil: Jugendstil – Malerblatt Online


Farbepoche: Moderne
Dekonstruktivismus: Jüdisches Museum in Berlin von Daniel Libeskind.

Farbepoche: Moderne
60er- und 80er-Jahre: Die Philharmonie in Berin von Hans Scharoun.

Farbepoche: Moderne
80er-Jahre: Sto-Niederlassung Stühling von Michael Wilford.

Farbepoche: Moderne
Postmoderne: Wissenschaftszentrum Berlin von James Stirling.

Farbepoche: Moderne
2000er-Jahre: Wohn- und Geschäftshaus in Sigmaringen.

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