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Historische Tapeten

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Historische Tapeten

Der Restaurator Lutz J. Walter bewahrt teilweise jahrhundertealte Tapeten vor dem Untergang.

Die Stadt Halberstadt und Lutz J. Walter haben eines gemeinsam: Beide erhielten im Rahmen der „denkmal“ 2004, der Messe für Restaurierung, Denkmalpflege und Stadterneuerung, die Goldmedaille für herausragende Leistungen in der Denkmalpflege Europas. Halberstadt für die Vitalisierung der Stadtmitte unter starker Bürgerbeteiligung und der Restaurator Lutz J. Walter für die handwerklich exakte Reproduktion historischer Tapeten. So ist es wohl fast selbstverständlich, dass der gelernte Architekt die Tapetenrestaurierung im Museum Schraube in Halberstadt übernommen hat.

Dieses gehört zu einem Projekt, das unter dem Motto „Wir wachsen nach innen – Ein Weg zur Nutzung, Erhaltung historischer Bausubstanz“ den Kaufmannshof Vogtei 48 wiederbeleben soll. Das Museum zeigt am konkreten Beispiel der Familie Schraube mit einem komplett erhaltenen Haushalt von 1860 bis 1920 bürgerliche Wohnkultur im Original. Das Prunkstück des Museums ist der Gründerzeitsalon, versehen mit einer historischen Stuckdecke und einem gasbefeuerten Kronleuchter. In diesem Raum restaurierte und rekonstruierte Lutz J. Walter eine goldbesetzte Salontapete mit Neorenaissanceformen.


Durch Jahre der Bauvernachlässigung waren die Dach- und Fachwerkkonstruktion durch Feuchtigkeit geschädigt, weite Bereiche der Gebäude von Hausschwamm befallen. Im Jahr 2006 und 2007 nahm sich Lutz J. Walter der Tapete im Salon an. Die Außenwand war so sehr von Schwamm befallen, dass sie komplett erneuert werden musste. Die Tapeten dieser Wand waren durch Feuchtigkeit, Papierabbau und Oxidation der Goldbronze irreversibel geschädigt und mussten rekonstruiert werden.

Die anderen Wände wurden restauriert. Dabei war darauf zu achten, dass die natürlichen Alterserscheinungen wie Patina und Schatten von Bilderrahmen erhalten blieben und dass sich die wiederhergestellten Tapeten an diesem Zustand orientieren. Zuerst führte Lutz J. Walter allerdings eine Bestandsanalyse durch: Befund, Datierung, Herstellungstechnik, aber auch Schäden waren zu dokumentieren. Die Tapete ist von 1888 und verweist auf textile Vorbilder, sie mutet fast stofflich an. Für die Restaurierung mussten einige Bahnen komplett von der Wand gelöst werden, ohne diese zu beschädigen.

Für die Rekonstruktion greift Lutz J. Walter bewusst auf alte Rezepturen und Techniken zurück, um der Originalvorlage möglichst nahezukommen. Oberflächenwirkung der Leimfarbe, pastose Farbaufträge und die ganzen besonderen Eigenheiten sind mit modernen Drucktechniken nicht zur erreichen. Besondere Papiere, Leimfarben (Glutinleime) mit Pigmenten nach alten Rezepturen sind seine handwerklichen Grundlagen.

Der Druck erfolgt ausschließlich mit Handmodeln oder im Maschinenleimdruck, nur so kann der alte Reiz hergestellt werden. Die Schraube-Tapeten sind im Maschinenleimdruck entstanden, der wie der Handmodeldruck eine Hochdrucktechnik ist. Auf einer Bürstenstreichmaschine wird zunächst der Fond der Tapete aufgebracht. Die im Trockenhang getrocknete, mit dem Fondaufstrich versehene Bahn läuft in der Leimdruckmaschine auf einem großen Zylinder an den einzelnen Farbwerken vorbei und wird nacheinander, das heißt nass-in-nass mit den Druckwalzen der jeweiligen Farbe bedruckt. Die bemusterte Tapete durchläuft wieder den Trockenhang, wird auf einen Ballen gewickelt, gegebenenfalls einer Oberflächenveredelung wie Gaufrage oder Prägung unterzogen und anschließend auf Rollen geschnitten und verpackt.


Mithilfe des wohl letzten Model- stechers in Deutschland, Hans Joachim Frindte aus Mühlhausen (Thüringen), stellt er die Walzen für den Druck her. Für jede Druckfarbe wird eine rapportgetreue Zeichnung angefertigt, die die Farbreihenfolge berücksichtigt. Wichtig für die spätere Passgenauigkeit einer jeden Druckfarbe ist die Angabe der Picots (Passmarken) an den Rändern der Walzen. Die fertigen Zeichnungen erhält der Formstecher, der diese auf bereits vorbereitete Walzen überträgt. Um die einzelnen Musterzeichnungen auf die Druckwalzen zu übertragen, bedient man sich eines sogenannten Kritzpapiers. Das mit einer Stahlnadel eingeritzte Muster der einzelnen Druckfarben wird mithilfe von Druckerschwärze auf die Holzoberfläche aufgerieben. Zur besseren Überschaubarkeit beim Stechen werden die Druckflächen farbig angelegt. Mit einem kleinen stecheisenartigen Werkzeug, dem Vorschlag, wird die Kontur des Musters etwa fünf Millimeter tief vorgestochen. Die einzelnen Muster werden aus Messingstreifen und gezogenen Profilen entsprechend der Zeichnung angefertigt und in das vorgestochene Holz eingesetzt.

Zur Kontrolle des Musters und des Rapportes wird ein Abrieb aller Model auf Transparentpapier angefertigt. Nach dem Richten der Formen werden die blechumrandeten Druckflächen mit Filz ausgefüllt, mit Schellack getränkt und abschließend mit Bimsstein überschliffen. Beim Tapezieren und Einsetzen der Fehlstellen ist ebenfalls größtmögliche Sorgfalt und Konzentration notwendig, auch auf das Raumklima ist zu achten: Die Luftfeuchtigkeit darf nicht zu stark abfallen, damit später keine Risse in den Tapeten entstehen. Insgesamt dauerte die Arbeit für die Wandbeläge in Halberstadt etwa ein Jahr.

Die Liste weiterer Arbeiten in historischen Gebäuden ist lang und beeindruckend: Dazu gehören etwa der Hofdamenflügel des Schlosses Sanssouci in Potsdam, das ovale Kabinett der Wiener Albertina, die Alte Börse in Riga oder die staatlichen Museen von Berlin. Die ältesten Tapeten, die Lutz J. Walter jemals rekonstruierte, waren zugleich die aufwendigsten: Die Wandbeläge von 1785 der Stadtresidenz in Landshut bestehen aus über 23 Farben, über 125 Handmodel waren für den Druck nötig. Die meisten historischen Tapeten haben drei bis vier Farben und ebenso viele Druckmodel. Rekonstruierte Tapeten dokumentiert Lutz J. Walter in einem Katalog, der bald online einzusehen sein wird. Daraus können dann auch Tapeten bestellt werden.

Bärbel Bosch


Der Tradition verpflichtet
Vorsichtig werde die zu sanierenden Tapetenbachen von den Wänden gelöst.

Der Tradition verpflichtet
Die Walzdruckmaschine für den Druck der rekonstruierten Tapete.

Der Tradition verpflichtet
Die Walzen für den Druck im Schraube-Museum.

Der Tradition verpflichtet
Die Picots auf den Zeichnungen markieren, wo die Walzen angesetzt werden.

Der Tradition verpflichtet
Die originale und rekonstruierte Tapete im Vergleich.

Der Tradition verpflichtet
Viele Zeichnungen und Farbproben waren bis zum Druck der Tapete zu erstellen.

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