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Fachwerkhaus, Schmalkalden

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Fachwerkhaus, Schmalkalden

Im Thüringer Wald zeigt eine Fachwerksanierung, dass Denkmalschutz und Farbgestaltung harmonieren können.

Eins plus eins ergibt zwei. Auch in der denkmalgerechten Sanierung und Farbgestaltung von Fachwerkhäusern scheint es solch einfache Gleichungen zu geben. Braune oder ochsenblutrote Balken plus weißes Gefache – gleich historisch korrekte Fassade. Ein bemerkenswertes Sanierungsprojekt in der thüringischen Kleinstadt Schmalkalden zeigt auf, dass die Rechnung durchaus anders aufgehen kann. Von der kecken Vision der Bauherrin angetrieben, in der Planungsphase heiß diskutiert und heute schon fast das moderne Wahrzeichen der Städtchens – das ist das Fachwerkhaus in der Stiller Gasse 23. Die Balken sind braun. Die Gefache sind farbig – aber nicht etwa in einem Ton, sondern in einem ganzen Dutzend Nuancen. Was zunächst wie eine farbige Guerilla-Aktion anmutet, traf und trifft auf umfassendes Wohlgefallen. Der Denkmalschutz hat zugestimmt. Das Haus strahlt positiv auf die Umgebung ab. Inge Wutzler, selbst in der Immobilienbranche tätig und die Bauherrin des Objekts, fiel ein Tourismusprospekt des Städtchens in die Hände, auf dessen Titelseite ein „buntes“ Fachwerkhaus abgebildet war. In Wirklichkeit gab es dieses Gebäude in Schmalkalden nicht – noch nicht. Inge Wutzler setzte sich mit viel Enthusiasmus für ihre Vision ein, bis die Stadtverwaltung und der Denkmalschutz ihr OKAY gaben. Hier sind die Menschen im doppelten Sinne „vom Fach“: Schmalkalden ist eine Fachwerkstadt mit über 1.000 Jahren Bau-, Stadt- und Kulturgeschichte und lebendiger Atmosphäre. Der Altstadtkern liefert auch heute noch ein wertvolles Zeugnis mitteleuropäischen Städtebaus. Vor allem die zahlreichen liebevoll restaurierten Fachwerkbauten bestimmen das Gesicht der Altstadt.

Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude in der Stiller Gasse 23 wurde ca. 1840 erbaut, einer Zeit, in der es bereits als „modern“ galt, Häuser aus Stein zu errichten oder aber die Fachwerkwände mit Schiefer zu verkleiden oder mit Putz zu überziehen, um so einen Putzbau vorzutäuschen. Die Blüte des Fachwerkbaus war Mitte des 19. Jahrhunderts bereits vorüber: Das zeigt das Gebäude mit seiner schlichten Erscheinung. Nur noch wenige Schmuckformen finden sich in diesem Fachwerk wieder. Das Motiv der einfachen Leiter ist noch erkennbar.

Denkmalgerecht?

Der stimmige Farbentwurf war Dreh- und Angelpunkt des Projekts. Die Bauherrin holte sich dazu mit der Wagner Maler und Putzer GmbH aus Floh und dem Brillux Farbstudio, Münster, Fachleute ins Boot, mit denen der gewünschte Blick über den Tellerrand der heute gewöhnlichen Fachwerk-Farbigkeiten und der geforderte Bezug zu einer historisch angemessenen Farbigkeit gelang. Andrea Schmidt, verantwortliche Brillux-Farbdesignerin für das Vorhaben, bezog zudem die Nachbarbebauung in die Überlegungen ein. Hier hat eine Bank ihren Sitz, deren Fassade taubenblau mit leuchtenden blauen Fenstern in die Straße hineinstrahlt – ein wenig gelungenes Beispiel eines Neubaus.

Die Expedition zum Farbkanon für das Farbmosaik führte über eine Spurensuche in die sichtbar vorhandene und verborgene historische Schmalkaldener Fachwerk-Farbgebung. Wer bewusst durch die thüringische Kleinstadt promeniert, entdeckt ein ganzes Kaleidoskop an Tönen. Und das hat historischen Hintergrund, weiß die Brillux-Farbexpertin: „Die heute oft vorherrschenden weißen oder sehr hellen Gefache war in der Zeit des Fachwerkbaues in dieser Region fast überall farbig, denn durch die Fuhrgeschäfte und die reisenden Händler kamen bereits zur Blüte des Fachwerkbaues viele italienische Pigmente wie Venezianischgrün oder Ziegelrot in die Region.“ Farbige Gefache war Ausdruck von Wohlstand. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, vermied Weiß, das als Anstrich den Häusern der einfachen Stände vorbehalten war. Farbbefunde an thüringischem (noch genauer: henneberg-fränkischem) Fachwerk, die Andrea Schmidt ebenfalls für den Entwurf heranzog, grenzten die Farbauswahl mit nachgewiesenem regionalen Bezug noch weiter ein.

Farbig statt bunt

Genauso wichtig wie die Farbwahl selbst war für die überzeugende Gesamtwirkung die Feinabstimmung und Komposition der Farbflächen zueinander. Im Detail:

Die Farbtöne der Gefache wurden aus dem Brillux Farbsystem Scala so gewählt, dass sie harmonisch zueinander sind und weitestgehend an die Erdpigmente erinnern. Dazu weisen sie einen genügend hohen Anteil Ocker bzw. Grau auf. Lediglich der Blauton wäre zur Erbauungszeit noch nicht machbar gewesen. Er wurde bewusst in die Gestaltung integriert, um die Verbindung zum Nachbargebäude herzustellen.

Das Fachwerkholz wurde in einem dunklen Braun beschichtet, das als prägender Farbton sowohl in Schmalkalden wie auch im benachbarten Suhl belegbar ist.

Die Fenstereinfassungen erinnern dezent daran, dass diese in der gesamten Stadt farbig abgesetzt wurden. Hierfür wurde ein Rot gewählt, welches sich im Bereich der Balkenlage und den Schnitzereien an den Knaggen wiederholt. Die Fenster selbst wurden in der Farbigkeit zurückgenommen und erhielten ein leicht farbiges Grau.

Die Tür wurde, wie in der Region üblich, mehrfarbig gestaltet. Hierfür wurde sowohl das Rot der Fenstereinfassung wiederholt, als auch der Grünton der Gefache wiederaufgenommen. Die Türfläche integriert sich auf diese Weise zum einen in die Gesamtgestaltung des Hauses, zum anderen nimmt sie den im Ort vorherrschenden Gestaltungsduktus auf. Die Kombination Rot-Grün ist in Schmalkalden nicht unüblich und an mehreren Gebäuden in unterschiedlichen Nuancen zu entdecken.

In Details wie auch im umfassenden Konzept der Farbgestaltung ist diese neuartig anmutende Art in der Region und der Geschichte verwurzelt: „Schon immer setzte man im Fachwerkbau auf Kontraste und schuf auf diese Weise eine regional immer wieder individuell wirkende architektonische und farbliche ‚Erlebniswelt‘“, betont Andrea Schmidt. Kein Einzelhaus tritt hervor. Eine farbige Fachwerkstadt wirke als Ensemble, als Einheit. Diese Harmonie verdanke sie letztendlich Details der Farbgestaltung, die durch einen inneren Bezug der Farbigkeiten zueinander den unschönen Eindruck von beliebiger Buntheit vermeiden, so die Farbdesignerin.

Fachlich auf Seiten der Stadtverwaltung und des Denkmalschutzes, emotional bei Bewohnern oder Besuchern der Stadt, herrscht nach Abschluss der Umgestaltung Einigkeit über das zunächst kontrovers aufgenommene Vorhaben: Die Gestaltung ist ungewöhnlich und entspricht ganz und gar nicht unbedingt den Sehgewohnheiten, aber sie ist Denkmalpflege auf eine ganz eigene Art. Das Fachwerkhaus Stiller Gasse 23 zeigt alle möglichen und auch in Schmalkalden wieder findbaren oder nachweisbaren Gefache-Farbigkeiten auf und ist dabei ein eigenständiges „Gesamtkunstwerk“. Von diesem Unikat gehen Impulse aus, hat Brillux-Farbdesignerin Andrea Schmidt beobachtet: „Vor allem motivierte es auch andere Eigentümer dieser Straße, mit der Sanierung ihrer Häuser zu beginnen. Die Straße wurde attraktiver und farbiger. So manche Putzfassade erhielt wieder ihre ursprüngliche Farbigkeit.“ Bei so viel realer positiver Resonanz ist ein weiterer Ritterschlag für das Projekt auf Papier fast nur eine Fußnote – aber eine besonders schöne. Der Wunsch der Bauherrin nach einem farbigen Solitär hat mit einer Prospektabbildung begonnen. Jetzt ist der verwirklichte Traum zu besichtigen – auf einer Ansichtskarte von Schmalkalden, neben drei weiteren architektonischen Schmuckstücken der historischen Altstadt.

Marco Bock, Brillux
Fotos: Brillux

Die ungewöhnliche Farbgebung eines denkmalgeschützten Fachwerkgebäudes in der Stiller Gasse in Schmalkalden.

Der Farbentwurf definierte rund ein Dutzend Farbtöne mit historischem Bezug für die Gestaltung und setzte sie in einen harmonischen Kontext.

Detail der Gefache und ihrer akzentuierten Farbgestaltung.
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