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Junge Alte

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Junge Alte

Altern ist ein Prozess, kein Problem. Dieser Ausspruch stammt von Mathias Knigge, der in seinem Büro grauwert Demografie feste Produkte und Dienstleistungen anbietet. Er hat bei seinen Projekten meist auch die ältere Zielgruppe im Visier, was viel mehr von uns haben sollten – vor allem Unternehmen.

Denn unsere Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden, nie da gewesenen Wandel. Im Jahr 2030 wird der Anteil der über 60-Jährigen ca. 33 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Außerdem nimmt die Zahl der Menschen, die 80 Jahre und älter sind, zu. Die Senioren sind eine sehr lukrative Zielgruppe, denn sie haben eine höhere Kaufkraft als manche Jungen. Aktuellen Studien zufolge bestreitet die Altersgruppe ab 60 Jahre schon jetzt ein Drittel der Ausgaben für den privaten Konsum. Ihre steigende Zahl und ihre hohe Kaufkraft machen Senioren zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, dessen Potenzial noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist.

Zudem haben sich die Senioren deutlich verändert. Die 68er sind in die Jahre gekommen, und damit können wir das traditionelle Bild der Senioren ad acta legen. Es gibt nicht einmal einen passenden Namen für diese neuen Junggebliebenen: Best Agers, Generation Silber, Oldies, Unruheständler – mit all dem können sie sich nicht wirklich identifizieren. Menschen, für die in ihrer Jugend freie Liebe, Leben ohne Trauschein und offene WGs normal waren, werden diese Werte auch im Alter leben. Arbeit und gesellschaftliches Engagement gehört zu ihrem Selbstverständnis. Sie sind kritische, anspruchsvolle Verbraucher mit jahrzehntelangen Erfahrungen und sie wollen intelligente Produkte, die ihrem Anspruch an Qualität, Nachhaltigkeit und Langlebigkeit entsprechen. Unsere Großeltern haben ihr Geld noch für ihre Kinder und Enkel gespart, aber die neuen Alten genießen heute ihr Leben und gehen gerne einkaufen. Kleine Läden mit persönlichem Ansprechpartner stehen hoch im Kurs, denn der persönliche Dialog gibt Sicherheit, Orientierung und verspricht guten Service.

Wir fühlen uns heute jünger als wir tatsächlich sind. Wenn man Ältere nach ihrem realen und gefühlten Alter befragt, stellt man fest, dass sich die meisten Älteren durchschnittlich um zwölf Jahre jünger fühlen als sie real sind. Diese Junggebliebenen sind aktiv im Hier und Jetzt. Sie tun etwas für sich. Sie gehen ins Fitnessstudio, walken, spielen Tennis, laufen Ski oder Inliner. Sie pflegen ihre Hobbys und verreisen gerne. Im Geiste jung und körperlich fit, sind sie aufgeschlossen für Neues und fühlen sich nicht getrieben, jeden Trend mitmachen zu müssen. Sie haben sich und ihren Stil gefunden.

Ältere wollen keine Produkte und Werbung, die speziell auf sie abzielen. Sie wollen nicht abgegrenzt und anders sein, sondern dazu gehören. Sie wollen als kompetente, erfahrene Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Sie wollen nicht, dass man Ihnen ihre kleinen Unzulänglichkeiten ansieht, wie schlechteres Sehen und Hören. Ein Produkt sollte für diese jungen Alten nicht allein den Ausgleich des Defizits im Mittelpunkt haben. Funktionalität, Komfort, Verständlichkeit und einfache Handhabung sind wichtig, aber der Design-Aspekt darf dabei auch nicht vernachlässigt werden. Ein Handy, das wie ein Backstein mit überdimensional großen Tasten daherkommt, ist zwar bestimmt funktional, aber nicht der richtige Weg. „Auch ältere Menschen wollen cool sein und schicke Produkte kaufen“, sagt Nico Michler, zuständig für Designaffairs bei WMF. So verkauft sich die kleinste Kaffeemaschine WMF 1 sehr gut bei der älteren Zielgruppe; sie ist einfach zu bedienen, man kann sich mal schnell eine Tasse Kaffee zwischendurch machen, muss nicht erst eine Anleitung studieren, die einem Telefonbuch gleicht, und sie sieht zudem klasse aus.

Mit den rein funktional ausgerichteten, unschicken Rollatoren, die uns immer noch auf den Straßen begegnen, werden sich die neuen Alten und erst recht nicht die Generation danach zufrieden geben. Neue Designlösungen zum Ausgleichen unserer körperlichen Defizite werden kommen müssen und sind glücklicherweise schon teilweise da. Das Design kann entscheidend mithelfen, die Funktionalität ästhetisch und attraktiv aussehen zu lassen. Statt eines Spazierstocks oder einer Krücke kommt nun der Nordic-Walking-Stock zum Einsatz und das nicht nur beim Sport, sondern als ständiger Begleiter, denn damit sieht man nicht alt und gebrechlich, sondern sportlich aus. Ein Smartphone mit coolen Ohrstöpseln kann zum Hörverstärker oder zur Lupe unterwegs werden. Die Leselupe „Art of optics“ von Eschenbach sieht nicht mehr wie eine Lupe aus, sondern wie ein Glaskunst-Objekt mit mythischen Tiersymbolen. Die Leselupe war 2009 Produkt des Jahres auf der Messe Ambiente in Frankfurt.

Die Designerin Lotte Alpert saß morgens im Frühstücksraum eines Hotels, als sie am Nachbartisch sah, wie ein älterer Herr versuchte, Tee in seine Tasse zu schütten. Aufgrund seiner zitternden Hand hatte er dabei jedoch große Probleme, sodass ihm seine Frau zur Hilfe kam. Da sagte sich die Designerin, dass sie dafür eine Lösung finden wollte und kreierte die „simpliciTEA“-Kanne. Diese macht die Handhabung bei der Zubereitung von Heißgetränken unkomplizierter, erleichtert das Eingießen und sieht zudem extrem gut aus. Die Kanne kann innerhalb einer ihr zugehörigen Station gezielt nach vorne geschwenkt und damit zum Ausgießen gebracht werden, ohne dass sie dazu angehoben werden muss. Die Station ist durch das Induktionsprinzip in der Lage, den Inhalt der Kanne aufzukochen und präzise warm zu halten.

Aber nicht nur bei den Produkten hat ein Wandel stattgefunden. Auch der Laden muss heute mehr bieten als leblose Produkträume. Beim Einkaufen wählen wir im allgemeinen Geschäfte aus, in denen uns die Atmosphäre gefällt und in denen das Einkaufen bequem ist. Manches Mal sind es nur Kleinigkeiten, die Senioren das Leben beim Einkaufen leichter machen und über die sich die Jüngeren im übrigen genau so freuen. Breitere Gänge, eine bessere Ausleuchtung, etwas höhere Sitzgelegenheiten, Waren in leicht erreichbarer Höhe, etwas größere Schrift bei Preisschildern und Informationstafeln. Das Kleingeschriebene auf den Verpackungen können heute ja oftmals nicht mal mehr Junge vernünftig lesen. Die Drogeriemarkt-Kette dm hat das erkannt und in all ihre Einkaufswagen Lupen integriert. So ist es nicht schlimm, wenn man seine Lesebrille vergessen hat und auch Jüngere können entspannter den Text lesen.

Wir dürfen keine ausgrenzenden Speziallösungen für Senioren entwerfen, sondern müssen Produkte und Läden für alle attraktiver gestalten.

Foto: Denovo
Autor: Gabriela Kaiser, Trendagentur
Quelle: Malerblatt 12/2011
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