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Heinrich Schmid, Ulm

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Heinrich Schmid, Ulm

Lehrlinge mit Migrationshintergrund haben in der Praxis meist keine Schwierigkeiten, aber häufig in der Berufsschule.

Mehr und mehr Malerlehrlinge kommen aus Familien mit Migrationshintergrund. Auf dem Bau sind sie so gut wie alle anderen, doch in der Schule haben sie oft Probleme. Beim Malerbetrieb Heinrich Schmid in Ulm bekommen sie nun betriebliche Nachhilfe.

Ein strahlender Freitagnachmittag, 26 Grad, wolkenloser Himmel über Ulm. Eigentlich ist seit einer Stunde Feierabend, doch die beiden 18-jährigen Malerlehrlinge Daniel Vitale und Massimiliano Di Grigorio sind nicht im Freibad oder beim Grillen, sondern sitzen in einem Besprechungsraum des Ulmer Standorts von Heinrich Schmid. Mit am Tisch sitzt ihr Ausbildungsleiter Thomas Peters, vor ihnen liegt ein Test mit 20 Fragen.

Elf Lehrlinge bildet Heinrich Schmid in Ulm aus – neun von ihnen haben einen Migrationshintergrund: Italiener, Türken, ein Russe. Viele haben nach der Hauptschule ein Berufsvorbereitungsjahr gemacht, bevor sie zu Heinrich Schmid kamen. Auf dem Bau sind sie so gut wie ihre deutschen Kollegen, doch in der Schule haben sie Schwierigkeiten. Seit einem halben Jahr gibt Ausbildungsleiter Peters ihnen daher betriebliche Nachhilfe.

Peters liest Frage 5 vor: „Was sind die Gefährdungsklassen bei Holzwerkstoffen?” Die beiden Lehrlinge blicken ihn ratlos an.

„Ich weiß nicht”, sagt Di Grigorio.

„Ich auch nicht”, sagt Vitale, „verstehe die Frage nicht.”

Gefährdungsklassen, Dauerhaftigkeitsklassen, Resistenzklassen – für Vitale und Di Grigorio sind das harte Brocken. Sie wurden zwar in Deutschland geboren, aber ihre Eltern stammen aus Sizilien. Bei Di Grigorio zu Hause wird ausschließlich italienisch gesprochen, er hat nicht einmal einen deutschen Fernsehsender.

Ausbildungsleiter Peters lässt nicht locker: „Worum geht’s bei Gefährdungsklassen? Kommt schon, ihr wisst das!”

„Hat das was mit Feuchtigkeit und Schimmel zu tun?”, fragt Vitale vorsichtig.

„Genau!”, sagt Peters.

„Aber die Frage ist komisch gestellt”, murmelt Vitale, „Gefährdung bei Holz hab ich verstanden, aber wieso Klassen? Das verwirrt mich.”

Das größte Problem der jungen Männer ist die Sprache: „Wenn man einen Satz umstellt oder eine Frage umformuliert, lassen die sich davon sofort aus der Bahn werfen”, sagt Peters. Gerade deswegen stellt er oft dieselben Fragen mit anderen Worten – nicht, um seine Lehrlinge zu ärgern, sondern um sie vorzubereiten: Ende Juni bei der Zwischenprüfung gibt ihnen die Handwerkskammer auch nur eine Chance, die Aufgaben zu verstehen.



Die Nachhilfestunden sind im Betriebsablauf eigentlich nicht vorgesehen. Doch als das zweite Lehrjahr ihn um Hilfe fragte, schlüpfte Thomas Peters in die Rolle des Lehrers. Vitale und Di Grigorio sagen, er sei viel besser als die Lehrer in der Berufsschule: „Der hat viel mehr Ahnung!” Deshalb kommen sie freiwillig. „Ich dränge das niemandem auf”, sagt Peters. „Sie müssen schon selbst wollen.” Hinter ihm hängt ein Poster mit der Karriereleiter von Heinrich Schmid: acht Schritte vom Lehrling bis zum Regionalleiter. Peters, erst 30 Jahre alt, hat schon die fünfte Stufe erklommen: Er ist Teamleiter. Seine Lehrlinge dagegen müssen sich mit den Grundlagen herumschlagen.

Frage 13: Was ist eine Lasur?

„Ein Schutz”, antwortet Di Grigorio knapp.

„Ja, aber was ist das Besondere an einer Lasur?”, fragt Peters nach.

„Du deckst das Holz damit nicht ab”, sagt Vitale.

„Und woran liegt das?”

„Sie ist durchsichtig”, sagt Di Grigorio.

„Ja, aber warum?”

„Weil sie nicht so viele Pigmente hat”, sagt Daniel Vitale.

Richtige Antwort. Aber warum muss ein Maler eigentlich über Pigmente Bescheid wissen? Genügt es nicht, wenn er weiß, wie man die Lasur aufträgt? „Nein”, sagt Peters, „wir wollen weg von diesem Klischee ‚Ich-nix-Chef-ich-nix-sagen‘. Jeder soll wissen, was er macht, und darüber sprechen können. Jeder unserer Mitarbeiter repräsentiert die Firma.”

Daniel Vitale sei ein gutes Beispiel. Er ist selbstbewusst, kommunikativ, unter den Azubis der Wortführer, sogar bei den älteren. Er übernimmt Verantwortung, reißt Aufgaben an sich, auch bei den Kunden kommt er gut an. Gute Voraussetzungen, um Karriere zu machen. Doch falls er einmal Kundengespräche führen will, muss er genau wissen, wovon er spricht. Und neben Fachwissen braucht er dann auch ein bisschen Allgemeinbildung. Frage 19: Was bedeutet SPD?

„Soziale Partei Deutschlands”, sagt Vitale.

„Fast”, sagt Peters, „du vergisst da immer etwas”.

„Ah”, sagt Vitale, „demokratisch”.

„Genau. Und was heißt das: Demokratie?”. Die beiden Lehrlinge reagieren zögernd, winden sich, drucksen herum. „Parlament”, sagt Di Grigorio. Mehr als das eine Wort fällt ihm dazu nicht ein.

„Das ist, wenn sich viele Parteien bilden und über eine Sache reden”, sagt Vitale.

Peters nickt. Das ist schon deutlich mehr als im März, als er mit der Nachhilfe begann. Die Überstunden zahlen sich aus: Massimiliano Di Gregorio hat sich seitdem im Schnitt um eine Note verbessert, Daniel Vitale sogar um eineinhalb.

Letzte Frage: Wie viele Bundesländer hat Deutschland? „Sechzehn!”, rufen die beiden wie aus einer Kehle, das haben sie sich gemerkt. Aber wie heißen sie, wo liegen sie und was sind ihre Hauptstädte? Bayern und Baden-Württemberg kriegen sie zusammen, dann wird’s eng. Thomas Peters rollt ein Flipchart heran, zieht die Kappe von einem Marker und malt eine Deutschlandkarte. Manch anderer Malerlehrling liegt zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Stunden in der Sonne, Vitale und Di Grigorio beugen sich über ihre Blöcke und zeichnen die Grenzen des Landes ab, in dem sie geboren wurden und von dem sie so vieles noch nicht wissen. In Kiel, der Hauptstadt Schleswig-Holsteins, angekommen, haben sie dann endlich Feierabend.

Fotos: Josef Schneider, Julius Schophoff
Autor: Julius Schophoff
Quelle: Malerblatt 08/2012
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